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Unplugged
"Unplugged" - Acryl auf Leinwand - 100x140
cm
In unserem als Galerieraum ausgestatteten Kellerraum
zeigten wir
einem Bekannten unsere Bilder.
"Dieses Bild von John Lennon nehme ich gern, wenn
Sie es nicht behalten wollen - ich habe einen guten Freund, der sehr
Beatles-begeistert ist.
Dem würde ich das gerne schenken".
Damit war ich unverhofft eines meiner Bilder los.
Da es auf Papier gemalt war, musste ich es noch
rahmen.
Als er zum Abholen kam, schaute er sich nochmal im
Vorbeigehen alle Wände an und frug mich, ob ich auch ein abstraktes Bild
hätte - richtig grossformatig und mit grellen Farben.
Vielleicht ähnlich der Art, wie ich John Lennon gemalt
habe, nur greller.
Er könne sich sowas gut vorstellen in seinem Büro.
Nun musste ich passen, denn abstrakte Bilder sind in
meiner technisch-peniblen Welt eigentlich nicht so angesagt.
Früher waren abstrakte Bilder für mich
Zufallsergebnisse, Schmiererei, auf die Leinwand geworfene Farbbeutel.
Bis ich mich mit dem Begriff "Abstrakt"
etwas genauer auseinander setzte.
Es gibt da gegenstandslose Farbschmiererei, ruhig auch
mit vulkanischem Sand oder Rost versaut - Entschuldigung: veredelt.
Es gibt aber auch figürliche oder konstruierte
abstrakte Gemälde, bei denen der Künstler eine gedankliche Leistung
vollbringt.
Zurück zu unserem Kunstliebhaber:
es beschlich mich der Verdacht, dass dies ein Auftrag
gewesen sein könnte.
Hatte er wirklich gemeint, ich solle ein abstraktes
Bild für ihn malen ?
Ja, er hat: gross, grell, abstrakt.
Also begann ich mich damit zu befassen, wie denn ein
grossformatiges abstraktes Bild mit grellen Farben aussehen könnte.
Nun bin ich nicht gerade der "Bauch-Maler",
welcher einfach mal anfängt Farben in die Hand zu nehmen und wartet, bis
sich etwas auf
der Leinwand entwickelt.
Nein - bei mir entwickelt sich da nichts.
Ich überlege, wie ich grelle Farben auf eine Leinwand
bringe, deren Anordnung mir gefallen könnte.
Ein Konzept muss her.
Rechts oben ist der hellste Fleck, links unten der
dunkelste - so ergibt sich eine farbliche Diagonale.
Dann gibt es da noch die Regel vom goldenen Schnitt,
der den Punkt des grössten Interesses festlegt.
Schliesslich fiel mir John wieder ein.
Die Beatles - Beatlemania, kreischende Mädels,
psychedelische Farben ...
Eine Zuschauergruppe vor der Bühne, von welcher im
grellen Licht
eine Band spielt.
Ja, so könnte ich mir das vorstellen: ein Publikum,
nur angedeutet, nicht wirklich sichtbar.
Dazu die Anmutung einer Gitarre, damit man sich
vielleicht einen Grund für die Zusammenrottung mehrerer Menschen erklären
kann.
Aber es soll ja abstrakt sein, also um Himmels Willen
keine realistische Gitarre sondern eben nur sowas Ähnliches wie ein
Instrument.
Jetzt war meine Vorstellung schon so konkret, dass ich
nicht umhin kam,
mir im Kunstmarkt eine grossformatige Leinwand zu
kaufen.
Das musste ich einfach umsetzen !!!
Ich fand eine geeignete Leinwand-Serie, wählte mir die
grösste aus und ging zur Kasse.
Die Kassiererin kennt mich schon lange - ich bin ein
guter Kunde.
"Laden Sie die Leinwand schon mal ins Auto, ich
bereite inzwischen die Rechnung vor" sagte sie und ich nahm ihren
Vorschlag mit der unhandlich grossen Leinwand in der Hand gerne an.
Ich stellte die Leinwand auf meinem Fussspann ab und
öffnete umständlich die Heckklappe des Kombis.
Zwischen den Radkästen ist ein Meter Platz und so
dachte ich, dass ich das etwas grössere Format locker schräg in den
Kofferraum schieben könnte.
Falsch gedacht - nach mehreren vergeblichen Versuchen
musste ich aufgeben.
Ich beschloss, notgedrungen die nächst kleinere Grösse
zu kaufen und ging wieder nach drinnen, wo inzwischen schon mehrere
Kunden an der Kasse standen.
Leise schlich ich mich an den Leuten vorbei und
versuchte mich hinter der grossformatigen Leinwand so klein wie möglich
zu machen.
"Aaaah, hat sie nicht reingepasst - das hab ich
mir schon gedacht" tönte es laut aus Richtung Kasse herüber.
Alle schauten her und ich habe selten so viele breit
grinsende Gesichter
auf einmal gesehen.
"Ich stelle die Leinwand wieder ins Regal und
kaufe mir dann zuerst ein grösseres Auto" rief ich in Richtung
Kasse.
Wie beflügelt sauste ich durch das Geschäft, nur nix
wie weg hier
von der Kasse.
Im Regal suchte ich eine ein Meter breite Leinwand aus
und machte den zweiten Versuch.
Diesmal klappte die Ablage im Kofferraum, nach einigen
Minuten Fahrt verflog auch das peinliche Gefühl und ich begann, mich auf
das neue Werk zu freuen.
Ich befestigte die Leinwand auf meiner Staffelei und
begann mit Filzmarker und Acrylfarbe meine Vorstellung auf die
Schutzfolie zu bringen, um ein Gefühl für die Komposition zu bekommen,
dann schaute ich mir das Bild von weitem an.
Ja, so könnte ich es mir vorstellen.
Ich zog die Folie ab, fertigte eine grobe Vorzeichnung
mit Bleistift an und legte die grosse Leinwand auf den Boden um sie zu
bemalen.
Es folgte ein mehrstündiger Tanz um die Leinwand, bei
dem ich mein Grundthema anlegte.
Irgendwann kam meine Frau um zu sehen, ob ich noch
lebe.
"NEIN, das sieht ja schrecklich aus !"
"Das ist ja erst im Entstehen - nun warte doch,
bis ich das gemalt habe, was ich mir vorstelle".
Sie setzte sich in einen Stuhl und beobachtete mein
Treiben.
Mit fortgeschrittener Zeit nahm das Bild Gestalt an
und wurde irgendwie ansehbarer.
Ich hatte mein Grundkonzept mit dem Publikum und der
Gitarre nun angelegt und fand es ein bisschen zu realistisch - zu wenig
abstrakt.
Also entschloss ich mich zu einem Themenwechsel um den
sich aufdrängenden Eindruck abzumildern.
Ich wollte Baumäste über das gesamte Bild ziehen und
so eine weitere Interpretationsebene schaffen.
"Ich male jetzt von links unten einen Ast da
rein" sagte ich.
"Dann mach halt mal" kam ihr Kommentar.
Ich machte - einen breiten schwarzen Strich.
"Jetzt ist das ganze Bild kaputt !!!"
"Das hättest Du ruhig früher sagen können - jetzt
habe ich einen schwarzen Strich quer über das Bild gemalt, den krieg ich
nicht mehr so einfach weg".
Erstaunlich, wie man mit verschiedenen Vorstellungen
aneinander vorbei reden und denken kann.
Jedenfalls malte ich nun meine Äste weiter und dachte
an Bob Ross, der auf seine fertigen Bilder häufig noch einen Baum malte
und dann sagte "now comes the bravery test" (Mutprobe).
Allmählich wurden die Verästelungen deutlich sichtbar.
Den Gitarrenhals benutzte ich noch für einen zweiten
Baum.
Es kam mir nun vor, als wäre ich im Wald - zwischen
zwei Bäumen stehend schaue ich in die Baumkronen – dreidimensional.
Das Bild hatte nun ein neues Stadium erreicht und ich
war ganz zufrieden mit dem Ergebnis:
die grellen Farben machen den ersten Eindruck, dann
sieht man die Bäume.
Huch, da sind ja noch Gesichter, die bei genauer
Betrachtung sichtbar werden.
Menschen mit grosser Vorstellungskraft erkennen noch
das
Gitarren-Instrument.
Das Publikum eines Gitarrenkonzerts - ohne perfekte
Aufbereitung - unplugged.
Es wurde ein abstraktes Bild mit einem Schuss Realismus.
Die Entstehung habe ich mit der Videokamera
aufgezeichnet, sie ist als Zeitraffer-Video zu sehen - quasi ein
Kunstwerk als Nebenprodukt: der kreative Prozess als Speed Painting.
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